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Was Pädagog*innen und Eltern wissen sollten

Pornografie und erotische Darstellungen existieren schon sehr lange, eigentlich schon seit ewig. Die Meinungen dazu sind – vermutlich auch schon seit jeher – unterschiedlich: Kritische Stimmen finden sich dazu in der jüngsten Geschichte zB in der PorNO-Kampagne (initiiert durch Alice Schwarzer), die Pornografie generell als Gewaltakt interpretiert, und dabei besonders auf die fragwürdige Darstellung von Frauen verweist.  Dem entgegen steht die Kampagne PorYES mit jenen Akteur*innen, die sich –  auch mit dem Argument der Verantwortung gegenüber der jüngeren Generation – für eine neue Produktions-Art von Pornografie aussprechen (Erika Lust, Annie Sprinkle, Cindy Gallop, etc.), die weniger mit der aktuellen Mainstream-Pornografie zu tun hat.

In unseren Weiterbildungen und Vorträgen mit erwachsenen Personen fällt uns auf, dass gerade jene, die vor dem Internetzeitalter geboren wurden, wenig Vorstellung davon haben, was Pornografie heute eigentlich bedeutet. Hinzu kommt, dass sich nicht alle mit den neuesten Entwicklungen im Netz näher auseinander setzen können oder möchten. „Früher haben die Menschen ja auch Sexfilme und diese Heftchen angeschaut“, wundern sich da manche über die große Aufregung um Pornografie. Überhaupt mit der sexuellen Revolution und der Normalisierung von Nacktheit, gäbe es ja ohnehin keine Tabus mehr und auch die Jugendlichen haben heute doch viel besseren Zugang zu Informationen – oder?

Im Laufe der Zeit hat sich durch den technischen Fortschritt jedoch vieles geändert. Pornografie übt daher einen massiven Einfluss auf die Art und Weise aus, welches Wissen sich junge Menschen heute über Sexualität aneignen.

Ganz klar ist:  Jugendliche sind heute noch genauso verliebt und aufgeregt, wenn es um den ersten Kuss geht. Treue rangiert sowohl in den jüngsten Jugendstudien als auch in den unseren Workshops ganz vorne bei den wichtigsten Werten für eine Beziehung. Dennoch macht das Thema Porno zu schaffen. Als Erwachsene sollten wir darum über folgendes Bescheid wissen:

1.) Die Zugänglichkeit

Früher wurden ältere Geschwister oder Cousins gerne vorgeschickt, um einen Playboy oder eine Praline zu kaufen, oder es wurde irgendwo von irgendwem eine dieser ominösen Videokassetten gefunden. Der Vorhang vor der Abteil „ab 18“ in der Videothek deutete Vielversprechendes an, irgendwie faszinierend, irgendwie abschreckend. Heute wird das gewünschte oder unerwünschte Material bereits mit dem Zugang zu einem Smartphone frei Haus geliefert.

Es gibt weder Sicherheitsbeschränkungen, noch Filter, die Kinder und Jugendliche ernsthaft und flächendeckend davor beschützen und bewahren können, pornografisches Material zu sehen. Niemand muss erst einen Blick auf explizite Seiten werfen, auf denen nur dezent irgendwo am Rand „ab 18 Jahren“ geschrieben steht, um Genitalien in Nahaufnahme während des Geschlechtsverkehrs zu sehen.

  • Oft reichen schon Werbeeinschaltungen, die einfach aufscheinen, oder die Googlesuche. Das Jugendliche letzteres mit vielerlei Worten ausprobieren, liegt auf der Hand.
  • Auf Social Media – Kanälen werden oft Bilder von älteren Kindern und Jugendlichen als Mutprobe weiter geschickt. Meist läuft dies nach dem Motto „Wer traut sich…?“, oder es sind Unbekannte, die diverse Bilder verschicken. Natürlich kann ein Kind auch ohne eigenes Smartphone zu diesem Material gelangen, weil es absolut reicht, wenn Freunde ein Handy haben.

Der Zugang zu Pornografie ist absolut einfach.

Umso weniger ist Jugendlichen klar, warum es eine Altersfreigabe ab 18 Jahren gibt. Die Grenzen verschwimmen zwischen pornografischen und anderen Medieninhalten. Beispiel dafür sind bekannte Youtuber wie zB Katja Krasavice (die bei Jugendlichen sehr bekannt ist) oder auch TV-Formate wie Galileo, die freimütig über (mögliche) Erwachsenensexualität zu durchaus tagesheller Sendezeit berichten.

Was es für Kinder und Jugendliche daher braucht, ist eine altersadäquate Vorbereitung auf Inhalte, die nicht für sie geeignet sind. Nur damit können sie mit ihrer Überforderung umgehen lernen und wissen, dass sie Erwachsene um sich haben, an die sie sich mit ihren Fragen vertrauensvoll wenden können.

Materialien finden sich zB hier:

2.) Selbstoptimierungsdruck

Pornos sind Filme. Und Filme haben Drehbücher – schon immer. In den Sexfilmchen der 80er gab es meist auch eine Handlung, auch wenn diese zugegebenermaßen an den Haaren herbeigezogen wirkten. Immerhin machte das deutlich, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt.

Heute sind Pornoclips kürzer und beginnen bereits mit nackten kopulierenden Körpern. Pornodarsteller*innen werden nach dem Aussehen ihrer Genitalien ausgewählt. Statt körperlicher Vielfalt werden vor allem weibliche Genitalien mit kleineren inneren Venuslippen in „Brötchenform“ gezeigt, sowie riesige Penisse. Letztere sind dabei gar nicht immer echt, und die immer selbe Form der Venuslippen erweckt einen Anschein von Norm. Damit wird ein Trend zur Labioplastik gesetzt (=eine Form der Schönheitsoperation, bei der die Venuslippen operativ „korrigiert“ werden). Alles in diesen Filmen wird gezielt in Szene gesetzt und per Computer bearbeitet.

Auch hier gilt es wieder: Pornos sind Filme. Jugendliche müssen darüber aufgeklärt werden, dass die Körper, die sie in Medien sehen, nicht „echt“ sind. Der Abgleich mit der Realität fehlt oft. Poren, Fältchen, Cellulite, Schwangerschaftsstreifen, Pickel, Hautunreinheiten, Rasurbrand uvm. kommen auch in Printmagazinen und in Onlinemagazinen kaum vor. Die Filter auf unseren Smartphones tun ihr Übriges, um uns „schön“ aussehen zu lassen. Warum sollten Jugendliche also davon ausgehen, dass sie in Ordnung sind, wenn ihnen überall nur „der perfekte Körper“ begegnet.

3.) Informationskompetenz

Das Internet bietet eine Fülle von Informationen und auch eine Fülle von pornografischem Material. Diese Entwicklung ist so rasant passiert, dass die pädagogischen Ansätze Medien- und Informationskompetenz zu vermitteln zwar existieren, aber noch lange nicht flächendeckend ausgerollt sind.

Wenn eigene sexuelle Erfahrungen fehlen, nehme ich automatisch das, was ich über Sex im Netz finden kann für bare Münze. Immerhin gehen TrashTV-Reportagen, Pornos und unseriöse Seiten mit ihren Informationsschwerpunkten Hand in Hand. Vieles sieht dabei nach Skandal, Aufregung und Rekorden aus. Unaufgeregte Webseiten, die ebenfalls über Sexualität für Jugendliche informieren sind weniger laut und auffällig und daher schwerer zu finden. Dahinter steckt eine Industrie, die aus kommerziellen Gründen wenig Interesse an Informationsvermittlung hat – eher einen weiten Vorsprung in Sachen täuschender Kommunikation, bei der es um hohe Werbeeinnahmen und damit viel Geld geht.

Aber auch Erwachsene nehmen durch die Fülle des pornografischen Angebots dieses immer stärker als Leitmedium wahr. Das hat Sexualwissenschafter Jakob Pastötter in der bis dato größten Sexstudie 2008 herausgefunden. Da Informationssendungen vermehrt mit Unterhaltungsformaten verschwimmen (Edutainment), wird es für das Publikum immer schwieriger zu unterscheiden, welche Informationen seriös und welche mit dem Anspruch von möglichst großer Reichweite produziert werden. Sex sells, gilt noch immer.

Unaufgeregte und objektive Informationen zu Sexualität finden Jugendliche auf:

4.) Körperbehaarung

Was für die „Generation Nena“ absolut normal war, ist heute nur mehr eines von vielen Porno-Genres,  nämlich: dass auch Frauenkörper behaart sind. Zwar rufen Medien immer wieder die Rückkehr der Achselhaare aus, trotzdem beginnen sehr viele Jugendliche mit dem Einsetzen der Pubertät, sämtliches Körperhaar zu entfernen. Intimbehaarung verschwindet dabei ebenso wie Haare auf den Beinen oder Armen. Wer sich die Liste der Möglichkeiten auf der Webseite eines Waxing-Studios ansieht, bekommt einen Einblick in aktuelle Trends.

Einen Beitrag zu dieser Enthaarungsserie leisten vor allem auch Pornos, weil sie gerade durch die gängigen Nahaufnahmen versuchen, so viel wie möglich zu zeigen. Das geht natürlich besser ohne Haare. Insofern ist es auch logisch, dass das Bleichen des Analbereichs, sowie das Nachschminken von Genitalien zum ganz normalen Alltag auf einem Pornoset gehören. An diesen Bildern von Körpern orientieren sich Jugendliche heute und das macht großen Druck.

Autorinnen wie  Ariel Levy („Female Chauvinist Pigs“) und Natasha Walters („Living Dolls. Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen“) führen sogar an, dass junge Frauen gar das bewusste sich nicht im Intimbereich zu rasieren als Methode verwenden, um nicht in Versuchung für einen One Night Stand zu geraten. Der Gedanke unrasiert Sex zu haben, scheint für viele unmöglich.

Auch in sexualpädagogischen Workshops begegnen uns immer wieder Jugendliche, die Körperbehaarung in jeglicher Form ekelig finden. Manche glauben sogar, dass die Haare in Pornos „fake“ seien, weil sie gar nicht wissen, dass zB Frauen von Natur aus Körperbehaarung besitzen.

Für ein gesundes Körpergefühl braucht es mehr Aufklärung über die Pubertät und die Vielfalt menschlicher Körper. Damit Jugendliche selbst über ihren Körper bestimmen können, ohne Schamgefühl.

5.) Die Zeiten sind rauer geworden

Wer sich die Sexfilme der 80er ansieht, die heutzutage zB noch unter dem Genre „Vintage“ im Internet zu finden sind, wird vermutlich eine fröhlichere Grundstimmung finden. In der Mainstream-Pornografie herrscht ein rauerer Ton.

Weil das „Übliche“ auch schon langweilig zu sein scheint, werden immer wieder neue „aufregendere“ Praktiken einem breiten Publikum zugänglich gemacht. So gehört mittlerweile Analsex zum üblichen Repertoire eines Pornoclips, die gleichzeitige Penetration durch mehrere Personen (Double Penetration) oder der gewaltvoller Übergriff auf eine Frau durch mehrere Personen  (Gang Bang) sind ebenfalls vielen Jugendlichen zumindest als Begriffe bekannt. In jedem Fall sehen die weiblichen Beteiligten meist gequälter, denn lustvoller drein. Ein besorgniserregender Trend.

Abwechslung bieten hier feministische Pornoproduzentinnen wie Annie Sprinkle oder Erika Lust, die mit einer komplett anderen Haltung Filme produzieren. Da diese ihre Verantwortung gegenüber Jugendlichen wahrnehmen, sind diese Filme auch wirklich erst ab 18 Jahren zugänglich.

Heute begegnet Jugendlichen in der Mainstream-Pornografie ein Bild von Sexualität, in dem Frauen vor allem als Mittel zur Befriedigung dienen. Das wirkt sich auch auf das Selbstbild der Jugendlichen aus. Ganz gleich, ob sie selbst das Videomaterial konsumieren, mitbekommen, wie darüber gesprochen wird, oder welche Erwartungen Partner*innen an sie stellen, wenn es zu den eigenen ersten sexuellen Erfahrungen kommt: eine Hierarchie zwischen Männern und Frauen wird nur all zu deutlich und die gesellschaftliche Ungleichbehandlung auch mittels Pornografie untermauert.

Das alles malt ein ziemlich düsteres Bild. Nichts desto trotz müssen wir proaktiv damit umgehen, und unsere Kinder und Jugendlichen mit Informations- und Medienkompetenz ausstatten, sie zum kritischen Hinterfragen anregen, sie in ihrem Selbst- und Körperbewusstsein stärken und ein offenes Ohr für sie haben, damit sie sich vertrauensvoll an uns wenden können.

Für Jugendliche den Vergleich von Sexualität mit Pizza anstatt als Sport zu bringen, kann ihnen helfen, ein Gefühl für eigene Bedürfnisse und Grenzen zu entwickeln. Diese Idee stammt übrigens vom US-amerikanischen Sexualpädagogen Al Vernacchio.

Sex wie Pizza denken

 

Es geht um unsere gesellschaftliche Verantwortung, und wie wir Kinder und Jugendliche vor Überforderung, Leistungsdruck und falschen Erwartungen bewahren und sie stattdessen bei der Entwicklung einer gesunden Sexualität unterstützen können.

 

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